In Gebsers Werk «Ursprung und Gegenwart» geht es um Forderungen, welche die heutige Zeit der Krise und Verunsicherung an unser Bewusstsein stellt und um eine neue Form der Wirklichkeitserfassung. Er ist der Meinung, dass wir vor der Aufgabe stehen, ein neues Bewusstsein zu gewinnen, um die heutige Notsituation, die sich in wirtschaftlichen Kreisen ebenso wie in der geistigen Desorientierung und der politisch-sozialen Desorientierung zeigt, zu meistern. Dieses Bewusstsein nennt Gebser das integrale Bewusstsein.
Um seinen Hypothese vom neuen integralen Bewusstsein zu untermauern, erforschte und beschrieb Gebser die Geschichte der menschlichen Bewusstwerdung, denn
«(...) das Neue kann nicht begriffen werden, wenn das Alte nicht bekannt ist.» (Bd. II, S. 70). Das Neue kann aber auch nicht durch das Alte
erklärt werden. Auch die Vorstellung einer fortschreitenden, kontiniuierlichen Entwicklung des menschlichen Bewusstseins ist für Gebser antiquiert, denn ein wirklich entscheidender Prozess
verläuft nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen. Gebser verwendet dafür den Begriff der Mutation. Eine solche Mutation tritt nun immer dann auf, wenn die bislang herrschende
Bewusstseinsstruktur zur Weltbewältigung nicht mehr ausreicht. Er meint nun, vier Bewusstseinsstufen gefunden zu haben, durch die die Menschheit im Laufe der Kulturentwicklung zu gehen hatte –
und die in strenger Einhaltung des bioenergetischen Grundgesetzes jeder Einzelne wachsend und reifend durchlaufen muss. Es sind dies:
Fünf Stufen der Wirklichkeit, fünf sich intensivierende (nicht erweiternde) und aufeinander bezogene Schichten menschlich-geistiger Weltbewältigung, legen sich wachsend umeinander wir Ringe um einen ins Wasser geworfenen Stein. Gebser lässt nun keinen Zweifel daran, dass nicht der Mensch es war, welcher den Stein ins Wasser warf, sondern der Impuls aus dem Ursprung stammt, welcher geistig-göttlicher Art ist. Im integralen Bewusstsein wird dem Menschen nun dieses Geschehen transparent.
Die heutige Unfähigkeit der rationalierten und technisierten Menschen, dem Du in Liebe, anstatt mit Macht und Kontrolle, zu begegnen, wurzelt nach Gebser in der Todsagung Gottes. Solange wir davon ausgehen, dass es keinen erfahrbaren Gott gibt, der im Menschen unsichtbar und unbewusst im Ursprung allgegenwärtig ist, kann das Ich dem Du nicht wirklich begegnen. Ohne in sich selbst und im anderen das Göttliche zu suchen, kann es keine Liebe zwischen Menschen geben. So schreibt Gebser:
„Die echte Bindung von Mensch zu Mitmensch geht jedoch immer, mental gesprochen, über Gott. In ihm liegt der gültige Bezugspunkt. Alle andere Bindung zwischen Menschen, die um diesen fundamentalen Sachverhalt nichts weiss und ihn unberücksichtigt lässt, ist vergänglicher Rausch, vergängliches Gefühl, vergängliche Projektion des vergänglichen Ichs.“ (Bd. III. S. 572) Und:
„Was ist schliesslich Menschsein, wenn nicht der Versuch, demütiger Mitarbeiter Gottes zu sein!“ (Bd. II, S. 13)
Ein(e) demütige(r) Mitarbeiter(-in) Gottes zu werden, setzt voraus, dass ich mich immer mehr einer Lebenshaltung anvertraue, die jenen Worten Marias gleichkommt wenn sie sagt:
„Mir geschehe wie Du gesagt hast!“